Soll ich Dir mal was sagen, mich nervt diese ewige Diskussion rund ums Gendern gewaltig. Oder anders formuliert: Das Gendersternchen geht mir gehörig auf mein Binnen-I!
Vorgeblich bemüht man sich um ein hehres Ziel – die gesellschaftliche Gleichstellung der Geschlechter. Ob Mann, Frau, irgendetwas dazwischen oder völlig anderes daneben, im Endeffekt sollte diese Frage im täglichen Miteinander schon längst keine Rolle mehr spielen (okay, die Partnerwahl mal ausgenommen).
Bis hierhin gebe ich meine vollste Zustimmung. Doch irgendwer kam plötzlich auf die Idee, daraus eine Ideologie zu machen, die jedermann/jederfrau/jedemetwas aufgezwungen werden soll – durch eine Sache, der sich niemand entziehen kann: Unsere Sprache!
Von biologischen und grammatikalischen Geschlechtern
Natürliche Sprachen unterliegen einer fortlaufenden Entwicklung (siehe mein Beitrag zum Thema Anglizismen). Hier von jetzt auf gleich Änderungen herbeiführen zu wollen, halte ich per se schon für mehr als problematisch.
Außerdem darf nicht vergessen werden, dass das biologische Geschlecht vom grammatikalischen Geschlecht absolut unabhängig zu betrachten ist; es heißt ja
- der Tisch (männlich),
- die Decke (weiblich) und
- das Kissen (sächlich).
Es gibt keinen auf den ersten Blick ersichtlichen Grund, weshalb der Tisch männlich und die Decke weiblich ist – nein, beide zusammen produzieren auch keine kleinen Servietten, wenn sie aufeinander liegen 😉 .
Etymologisch (also der Wortherkunft nach) lässt sich die Wahl des korrekt anmutenden Genus in vielen Fällen nur spekulativ erklären, oder schlicht gar nicht: „Isso!“ wäre oft die einzig passende Antwort auf die Frage warum ausgerechnet dieser bestimmte Artikel – und damit ein Geschlecht – zu einem Wort gehört.
Aber es kommt noch besser, denn während der Benutzung kann sich das grammatikalische Geschlecht sogar ändern:
- Das Flugzeug startet vom Flugplatz Musterhausen.
- Die Albert-Einstein startet vom Flugplatz Musterhausen.
Auf einmal wird aus der Sache Flugzeug eine Frau, trotz des männlichen Namensgebers – deutsche Sprache, schwere Sprache! 😉
Wenn im Lesefluss plötzlich Geröll liegt…
Sternchen, Bindestriche und andere Zeichen stören den Lesefluss, was nicht nur alltägliche Unterhaltungen schnell zu einem absurden Sketch werden lässt. Auch die Verständlichkeit der Inhalte leidet darunter immens.
Schlimmer noch, das Gendersternchen diskriminiert beim Lesen – und zwar das von manchen für scheinbar jedwede Unbill verantwortlich gemachte männliche Geschlecht. Lies mal den folgenden Satz laut vor:
- Liebe Zuhörer*innen, mein heutiger Vortrag vermittelt einen Einblick in das harte Leben kongalumbilanischer Arbeiter*innen des frühen 16. Jahrhunderts.
Wenn Du jetzt nicht absichtlich künstlerische „Gender-Pausen“ eingelegt hast, dann könnte man auf die Idee kommen, im Publikum säßen nur weibliche Zuhörer, die mehr über das Leben hart arbeitender Frauen erfahren möchten.
… und Gendern am Ende sogar diskriminiert
So wird – ungewollt – das weibliche Geschlecht gegenüber allen anderen Identitäten bevorzugt, nicht nur im gesprochenen Wort:
Denn wo bleiben eigentlich alle nicht-binären Geschlechtsidentitäten?
Die werden beim Gendern oft völlig außen vor gelassen, da Sternchen, Strich und andere Gender-Zeichen nur Männlein und Weiblein kennen. ICH finde das diskriminierend!
Oder um es anders zu formulieren: Gendern lässt Geschlechterrollen nicht in den Hintergrund rücken, sondern betont sie und schafft so neue Ungerechtigkeiten.
Missverständliches Synonym-Gendern
Manche Schreiber versuchen, die Gender-Problematik geschickt zu umschiffen, nur um dann doch auf ein Riff aufzulaufen: Ich spreche (bzw. schreibe) hier von Synonymen, die anstelle der Wortvariante mit Gender-Stern oder Binnen-I genutzt werden.
Diese Texte lesen sich oft eigenwillig und sperrig, wie das folgende Beispiel verdeutlicht:
- Die Abiturienten konnten die Sommerferien kaum erwarten. Alle Schüler hatten die Tests bestanden, worüber sich ihre Lehrer freuten.
- Die Abitur ablegenden Personen konnten die Sommerferien kaum erwarten. Alle Beschulten hatten die Tests bestanden, worüber sich die Lehrenden sehr freuten.
Ein viel größeres Problem liegt allerdings in der Tatsache, dass manche Synonyme die ursprüngliche Bedeutung des zu ersetzenden Begriffs verfälschen, da sie entweder zu einschränkend oder zu weit gefasst sind.
In obigem Beispiel wären das die „Lehrenden“ als große Gruppe aller Wissensvermittler, wovon die für den schulischen Unterricht ausgebildeten „Lehrer“ eine Teilmenge bilden.
Spontan fällt mir das kürzlich gehörte Pseudo-Synonym für „Mitarbeiter“ ein – „Mitarbeitende“. Ich glaube, die meisten Arbeitgeber wären froh, wenn all ihre Mitarbeiter tatsächlich auch Mitarbeitende wären… denk mal darüber nach. 😉
Okay, okay. In vielen Fällen mag das Erbsenzählerei sein, doch gerade bei journalistischen oder wissenschaftlichen Texten kann das Synonym-Gendern (eigene Wortschöpfung) zu schweren inhaltlichen Fehlern führen und macht Texte so schlichtweg ungenau.
Gleichberechtigung entsteht im Kopf
Nicht auf dem Papier!
Es handelt sich schlicht um das psychologische Konzept „Sein bestimmt Bewusstsein“:
Wer sich die Besucher eines Rockkonzerts vorstellt, sieht vor seinem geistigen Auge mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Gruppe (nicht nur junger) Menschen – weibliche wie männliche, alle Ethnien bunt gemischt. Unnötig, hier von Besucher*innen zu sprechen, oder?
Das generische, geschlechtsabstrahierende Maskulinum genügt im Normalfall zur Beschreibung gemischt-geschlechtlicher Gruppen vollkommen.
Anders sähe es natürlich in einem Text aus, der ein geschlechtsspezifisches Thema aufgreift. Hier müsste man gegebenenfalls kontextabhängig angepasste Formulierungen nutzen.
Noch ein Beispiel: In den 1950er Jahren dachte wohl jeder beim Beruf des „Automechanikers“ an eine Gruppe ölverschmierter, wortkarger Männer, die in ihrer Werkstatt neben allerlei Werkzeug mindestens einen Playmate-Kalender hängen haben. Heute stellt man sich einen „Mechatroniker“ als gut ausgebildeten Techniker vor, der sowohl mit Mikroelektronik als auch mit Mechanik etwas anfangen kann und durchaus weiblich sein darf (natürlich baumelt dann an der Wand neben dem Playmate- ein passender Playboy-Kalender).
Du siehst, wir haben es hier auch mit jeder Menge Zeitgeist zu tun – (wahre und unwahre) Vorurteile vermischt mit stereotypen Bildern, die sich im Laufe der Zeit wandeln. Dies mit Sprache von heute auf morgen erzwingen zu wollen, ist meines Erachtens ein Irrweg.
Nun könnte man argumentieren, dass gendergerechte Sprache zumindest ansatzweise die Chancengleichheit zwischen den Menschen erhöht. Aber ist dem wirklich so?
Als Antwort brauchen wir doch nur Gesellschaften zu betrachten, die Sprachen mit ausschließlich neutralem Geschlecht sprechen – Englisch zum Beispiel.
Besteht in nativ englisch sprechenden Gebieten diese Chancengleichheit? Werden dort beispielsweise nicht-binäre Geschlechtsidentitäten eher akzeptiert als in deutschsprachigen Ländern? Kurze Antwort: Im Jahr 2022 ist dies – leider – nicht der Fall.
Aggressive Sprachideologie und Krieg der Grammatik
Die Diskussion um Gendersternchen und geschlechtsneutralisierende Buchstaben ist kaum zielführend, in der Sache sogar kontraproduktiv:
Anstelle die Probleme von Ungleichbehandlung und Diskriminierung gesellschaftlich anzugehen, wird entweder gegendert, bis es weh tut oder krampfhaft nach anderen Begrifflichkeiten gesucht. Aus „Mitarbeiter*innen“ werden „Angestellte“ und aus „Anlieger*innen“ die „anwohnenden Personen“. Sollen wir „Endkonsumierende“ diesen Quatsch mitmachen oder als mündige „Lesende“ diesem nicht vielmehr ein Ende setzen?
Über die teils lächerlich anmutenden Versuche, ein neues grammatikalisches Geschlecht einzuführen oder geschlechtsneutrale Substantive zu entwickeln, möchte ich an dieser Stelle nicht näher eingehen. Es sind nette Gedankenspiele für Germanisten, nicht mehr.
Es geht doch letztendlich um die Bekämpfung von Rassismus und gesellschaftliche Benachteiligung von Menschen! Dabei helfen euphemistische Formulierungen, Umdeutungen, Sternchen und Striche nicht weiter. Wir brauchen Aufklärung, Akzeptanz und mehr Bildung – und meiner Meinung nach auch eine Portion Gelassenheit sowie die Fähigkeit, über Vorurteile auch einmal lachen zu können – zusammen mit den Vorverurteilten.
Man könnte zur Ansicht gelangen, dass gerade so etwas wie ein Kulturkampf im Gange ist. Immerhin gilt, wer über Sprache und Schrift bestimmt, beeinflusst das Denken der Menschen und übt damit Macht auf sie aus.
Das „generische Maskulinum“ – keine Erfindung der Neuzeit
Mancher Krieger aus dem Reich der Genderlingustik argumentiert damit, dass das generische Maskulinum eine Erfindung der Neuzeit sei, wobei man in der genauen Zeitangabe gerne vage bleibt.
Das ist jedoch – entschuldige meine Ausdrucksweise – purer Blödsinn. Entstanden entweder aus Nichtwissen oder absichtlicher Täuschung:
Das generische Maskulinum wird nämlich bereits seit der Spätantike in vielen Sprachen verwendet, nicht nur im Deutschen.
Für das 14. Jahrhundert habe ich etliche Gemälde und Zeichnungen gefunden, die das generische Maskulinum im Titel tragen, obwohl sich dieser auch auf dargestellte weibliche Personen bezieht (z.B. „Der Organist“ von Jost Amman (1568) oder „Künstlerfest bei M. und A. Ancher“ von Peder Severin Kroyer (1888)).
Schlicht effizient
Warum hat sich das generische Maskulinum gegenüber einem ebenfalls möglichen generischen Femininum oder geschlechtsneutralen Begriffen durchgesetzt? Meiner Meinung nach vor allem aus Gründen der Effizienz:
- Lehrer – Lehrerinnen – Lehrende (6 – 11 – 8)
- Arbeiter – Arbeiterinnen – Arbeitende (8 – 13 – 10)
- Zugbegleiter – Zugbegleiterinnen – Zugbegleitende (12 – 17 – 14)
Wie Du siehst, ist die männliche Form immer die kürzere, wenn man sich die Anzahl der Buchstaben betrachtet.
Und in manchen Fällen würden etliche Wörter schlicht eigenartig klingen (oder gar nicht sinnvoll möglich sein):
- Bürgermeister – Bürgerinnenmeisterin – Leitung der Verwaltung einer Gemeinde
- Fußgängerüberweg – Fußgängerinnenüberweg – Überweg für zu Fuß gehende Personen
- meisterhaft – meisterinnenhaft – ?
Wie Du als Texter mit gendergerechter Sprache umgehen solltest
Als (begabter) Schreiberling ist es natürlich allein Deine Entscheidung – naja, und die Deiner Kunden – wie und ob in Deinen Texten gegendert wird.
Aus oben genannten Erwägungen rate ich Dir dringend vom Gendern ab. Und auch Du solltest versuchen, Deine Auftraggeber zu überzeugen, dass eine gendergerecht verhunzte Sprache nur in wenigen Ausnahmefällen zum gewünschten Erfolg führt.
Sollte Dein Kunde auf einer gendergerechten Sprache bestehen, dann empfehle ich Dir, Gendersternchen und Konsorten durch die Verwendung von geschlechtsneutralen Formulierungen auf ein Mindestmaß zu reduzieren.
Natürlich gibt es Zielgruppen und Themen, die einen sensiblen Umgang mit Geschlechtsidentitäten erfordern. Hier solltest Du in der Tat besonderes Augenmerk auf die korrekte Wortwahl legen (und jedes Wort auf die vielzitierte Goldwaage). Aber das dürften Ausnahmefälle bleiben.
Viel wichtiger ist es, auf Inhalt und einen dazu passenden Schreibstil zu achten. Abhängig vom Texttyp kommt es entweder auf den informativen Charakter oder auf die emotionale Ansprache des Lesers an. Wenn das alles stimmig umgesetzt wird, spielt das krampfhafte Berücksichtigen von geschlechterneutralen Formulierungen keine Rolle.
Mein persönliches Fazit
Gendern beseitigt keine gesellschaftlichen Probleme – sondern führt allenfalls zu hässlichen Texten mit holprigem Lesefluss.
Außerdem lenken Sternchen und andere Zeichen vom Inhalt ab. Das mindert die Verständlichkeit und erhöht das Risiko von Fehldeutungen.